Die unendliche Geschichte 4.0?
Teil 3
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Was bisher geschah: Bei W., einem Online-Redakteur, geht seit einem Monat gar nichts mehr. Nachdem die »Tropfenfirma« zweieinhalb Wochen nicht in der Lage war, sein Kabel-Internet widerherzustellen, ist er zur »Ziffernfirma« gewechselt. Beim ersten Techniker-Termin stellt sich heraus: Die DSL-Leitung in seinem Haus ist defekt. Es wird immer enger für den von der Welt Abgeschnittenen. Ist jetzt, nach einem Monat, endlich Besserung in Sicht?
Szene 6, innen. Mittag.
- CAPTION:
- Mittwoch, 14. August 2024, ca. 11:30 Uhr.
W. gebückt und konzentriert am Schreibtisch, neben sich der obligatorische Becher mit dampfendem Kaffee. Er arbeitet über den LTE-Stick. Das Telefon klingelt.
- Elektriker: "Yo, Moin, ██████ mein Name. Ihr Hausmeister hat uns verständigt, dass ihre DSL-Leitung nicht funktioniert. Wir stehen gerade mitten im strömenden Regen und sollen eine Klingelanlage an einer Außenwand reparieren. Können wir vielleicht stattdessen spontan bei Ihnen vorbeikommen?"
- W.: "Ja, klar! Bitte, gern!"
- Elektriker: "Dann bis gleich, so halbe Stunde ungefähr."
- W.: "Bis denn, tschü-hüß!"
Szene 7, innen. Mittag.
Zeitraffer: Zwei Elektrotechniker in obligatorischen Blaumännern arbeiten für ca. zwei Stunden an verschiedenen Orten im Hausflur und der Wohnung an der Verkabelung.
×Blaumann wird der Overall genannt, der in vielen Berufen als Arbeitskleidung getragen wird. Blau ist er tatsächlich vor allem bei Sanitärtechnikern; der Blaumann von Elektrikern zum Beispiel ist meist grau/schwarz. Mehr: Wikipedia.
- Elektriker: "So, ich wollt nur kurz Bescheid sagen: Funktioniert jetzt alles. Ich hab auch extra noch ein Schild mit Ihrem Namen an die Klemme gemacht."
- W: "Ganz herzlichen Dank!"
- CAPTION:
- Ah, jetzt wird endlich alles gut!
- JETZT WIRD ALLES GUT!
- Oder . . .?
Szene 8, innen. Morgen.
- CAPTION:
- Dienstag, 20. August, 8:30 Uhr.
Zeitraffer: W. kommt mit einem Becher dampfendem Kaffee ins Zimmer, setzt sich ans Laptop, steht wieder auf, holt einen neuen Becher, setzt sich, steht auf, geht im Zimmer auf und ab, setzt sich wieder . . .
OVERLAY: Eine Uhr läuft schnell vorwärts, bis etwa 12:45 Uhr.
W: "F***ck! Das kann doch nicht euer Ernst sein!"
Kameraschwenk auf den Bildschirm: E-Mail der "Ziffernfirma":
- Guten Tag,
- leider konnte Ihr DSL-Anschluss nicht wie geplant geschaltet werden.
- Keine Sorge! Bis zu Ihrer Schaltung können Sie weiterhin mit Ihrem ███-Sofort-Start surfen und telefonieren.
- Bei der erneuten Schaltung ist es notwendig, dass eine technische Fachkraft den Anschluss vor Ort für Sie einrichtet.
- Wir werden uns innerhalb der nächsten 2 Werktage telefonisch bei Ihnen melden, um einen neuen Termin für die Schaltung Ihres DSL-Anschlusses zu vereinbaren.
W. telefoniert.
- ". . . aber das ist einfach gelogen! Ich war die ganze Zeit hier und habe sozusagen mit dem Ohr an der Türklingel geklebt! Das kann doch nicht . . ."
Unverständliche Antwort aus dem Telefonhörer.
"Und wieder eine ganze Woche warten?!"
W. legt wütend auf.
Szene 9, innen. Morgen.
- CAPTION:
- Dienstag, 28. August, 8:30 Uhr.
Zeitraffer: W. kommt mit einem Becher dampfendem Kaffee ins Zimmer, setzt sich ans Laptop, steht wieder auf, holt einen neuen Becher, setzt sich, steht auf, geht im Zimmer auf und ab, setzt sich wieder . . .
OVERLAY: Eine Uhr läuft schnell vorwärts, bis etwa 11:30 Uhr.
W: "Ich glaub es ja nicht! Ich fass es nicht! Das kann doch ü·b·e·r·h·a·u·p·t g·a·r n·i·c·h·t wahr sein!"
Kameraschwenk auf den Bildschirm: E-Mail der "Ziffernfirma":
- Guten Tag,
- leider konnte Ihr DSL-Anschluss nicht wie geplant geschaltet werden.
- Keine Sorge! Bis zu Ihrer Schaltung können Sie weiterhin mit Ihrem ███-Sofort-Start surfen und telefonieren.
- Bei der erneuten Schaltung ist es notwendig, dass eine technische Fachkraft den Anschluss vor Ort für Sie einrichtet.
- Wir werden uns innerhalb der nächsten 2 Werktage telefonisch bei Ihnen melden, um einen neuen Termin für die Schaltung Ihres DSL-Anschlusses zu vereinbaren.
W. telefoniert wieder.
- ". . . wirklich unglaublich. Verstehen Sie mich nicht falsch, das geht nicht gegen Sie persönlich, aber sowas habe ich echt noch nie erlebt . . ."
Unverständliche Antwort aus dem Telefonhörer.
"Naja, was bleibt mir anderes übrig?"
W. legt frustriert auf.
Szene 10, innen. Morgen.
- CAPTION:
- Montag, 9. September, ca. 11:15 Uhr.
Es klingelt. W. öffnet die Tür. Vor ihm steht ein noch recht junger, freundlicher Mann mit mittellangen blonden Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden sind.
- Techniker: "Moin! Ich komm wegen der DSL-Einrichtung."
W.: "Wow, cool. Nur herein!"
Zeitraffer: W. und der Techniker im Keller, W. und der Techniker in der Wohnung, W. am Laptop, der Techniker am Router, der Techniker am Laptop . . .
Techniker: "So, jetzt läuft alles."
W.: "Mann, jetzt bin ich aber froh. Ich hatte zwischendurch schon zwei Termine, bei denen einfach niemand gekommen ist. Die haben einfach behauptet, ich seh nicht da gewesen."
Techniker: "Naja, ich bin ja von einer externen Firma. Wir machen so 16, 17 Termine am Tag. Neulich hab ich einen Kollegen von der 'Magenta'-Firma getroffen, mittags gegen zwei, da sitzt der beim Essen und sagt, er hat gerade seinen ersten Termin hinter sich."
W.: ". . . ."
W. gibt dem Techniker zum Abschied einen Schein in die Hand und schließt die Tür. Dann atmet er sehr, sehr tief aus. Und ein. Und aus. Und ein.
Deutschland im Sommer 2024, in der zweitgrößten Stadt des Landes. Kein Wirtschaftswunder, stattdessen eher ein Wundern über die Wirtschaft. Wie soll ein Standort rezivoll sein für Gründer, wenn schon die einfachsten Versorgungsbereiche solche Probleme mit sich bringen? Durch Personaleinsparung, Monopolstellungen (s. auch das Deutsche-Bahn-Desaster), fehlende Bereitschaft und Mittel, der oft völlig überalterten Infrastruktur die dringend nötige Generalüberholung zukommen zu lassen?