In der letzten Folge unserer kleinen Serie über Herstellung, Lebensdauer, geplante Obsoleszenz, mögliche oder auch unmögliche Reparaturen und schließlich Entsorgung von Elektro- und Elektronik-Geräten wollen wir einen Ausblick wagen. Welche Maßnahmen sind notwendig, um den Müllberg zu verringern, die Produktion umweltfreundlicher zu gestalten, Geräte langlebiger zu machen? Was wird davon schon umgesetzt, was ist geplant, und wann?
Vor ein paar Tagen titelte DER SPIEGEL: Milliarden ausgediente Smartphones werden unsachgemäß entsorgt
– und das, obwohl die Entsorgung den Kund*innen schon wesentlich leichter gemacht wurde. Der vergangene Freitag, 14. Oktober, war der fünfte International E-Waste Day, und aus diesem Anlass hat das WEEE Forum¹ die Ergebnisse von Umfragen veröffentlicht, die von Juni bis September 2022 in sechs europäischen Ländern durchgeführt wurden. Die Auswahl von Portugal, den Niederlanden, Italien, Rumänien und Slovenien und zusätzlich dem Vereinigten Königreich repräsentiert die Diversität der Europäischen Union
, wie es in dem Beitrag des Forums heißt.
¹ Waste Electrical and Electronic Equipment
Eines der Ergebnisse: In den insgesamt 8775 befragten Haushalten waren im Durchschnitt 74 E-Produkte vorhanden, darunter Smartphones und Mobiltelefone, Tablets und Laptops, elektrische Werkzeuge, Föne, Toaster und andere (Lampen wurden nicht mitgezählt). Davon waren neun zwar noch funktionsfähig, aber nicht mehr in Betrieb, und fünf waren kaputt. Zusammen also 14 Geräte pro Haushalt, die recyclet werden könnten, aber nicht werden. Hier die fünf Spitzenreiter: 1. Kleinelektronik und Zubehör wie Kopfhörer, Fernbedienungen; 2. Kleingeräte wie Uhren oder Bügeleisen; 3. IT-Kleingeräte wie Festplatten, Router, Tastaturen und Mäuse; und 5. Kleingeräte zur Essenzubereitung wie Toaster, Küchenmaschinen oder Grills.
In diesem Jahr werden nach Expertenschätzungen von den weltweit rund sechzehn² Milliarden Mobiltelefonen etwa 5,3 Millarden unbrauchbar. Aber nur ein kleiner Teil wird fachgerecht entsorgt und damit recyclet, trotz der vielen wiederverwendbaren Bestandteile wie Gold, Kupfer, Silber, Palladium und vielen anderen. Der Rest landet im Müll und verseucht von dort aus die Umwelt, wie wir in der letzten Folge beschrieben haben – oder verschwindet, aus den Augen, aus dem Sinn, in Schubladen, Regalen, Schränken oder Garagen. Das WEEE Forum schreibt, dass Mobiltelefone auf Platz 4 der gehorteten Geräte stehen und fügt das Wort »überraschenderweise« hinzu; allerdings ist aus anderen Studien ersichtlich, dass die Bindung zum Smartphone mit starken Emotionen verbunden ist. Was die Überraschung deutlich lindern könnte.
² Das sind mehr als zwei pro Person, alle Babys und Kleinkinder mit eingeschlossen!
Magdalena Charytanowicz, Kommunikationsmanagerin des WEEE Forums, fasst zusammen: Allein die im Jahr 2022 produzierten kleinen EEE-Geräte wie Mobiltelefone, elektrische Zahnbürsten, Toaster oder Kameras werden ein geschätztes Gesamtgewicht von 24,5 Millionen Tonnen erreichen, viermal so viel wie die Große Pyramide von Gizeh.
Das Forum hat mehrere Vorschläge, was zu tun ist:
— Alle, die mit Elektroschrott zu tun haben, müssen rechtlichen Mindestverpflichtungen unterworfen werden. (Im englischen Original heißt es »all entities«, das umfasst also sowohl Einzelpersonen, als auch Organisationen, Firmen, Staaten, juristische Personen …)
— Pfand- und Rückgabesysteme
— Digitale Produktpässe
— Internationale, erweiterte Herstellerhaftung, die auf staatenübergreifenden Standards für den Umgang mit und die Unschädlichmachung von EEE-Schrott basieren, und übereinstimmende Definitionen, Kategorien, Methodologien und Prinzipen.
In Ansätzen finden sich einige dieser Ideen schon in aktuellen Gesetzen wieder. Seit dem 1.1.2022 gilt das umständlich betitelte »Erste Gesetz zur Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes«³, kurz »ElektroG«; laut diesem müssen seit Juli dieses Jahres auch Lebensmittelhändler ab einer Verkaufsfläche von mindestens 800 m², die mehrmals im Jahr oder durchgehend Elektro- und/oder Elektronik-Artikel anbieten, kostenlos E-Waste annehmen und dem Recycling zuführen. Im Selbstversuch zeigte sich, dass das bislang nur mäßig funktioniert; bei einem Supermarkt der Kette mit dem blauen E auf gelbem Grund war die Abgabe einer ausgedienten elektrischen Zahnbürste nicht möglich. Deswegen hier der Tipp, lieber gleich zu einem Elektro-Markt zu gehen; auch wenn der »Geiz-ist-geil«-Slogan immer noch unangenehm im Gedächtnis nachhallt, nehmen diese widerspruchslos bis zu drei Altgeräte pro Produktgruppe an.
³ In Social-Media-Posts würde man ein »Gesetz zur Änderung eines Gesetzes« wohl mit einem herzlichen »lol« kommentieren.
Fast noch interessanter ist, dass auch der Versand umfassender in die Pflicht genommen wird: Wie die Industrie- und Handelskammer Karlsruhe berichtet, muss bei der Lieferung in private Haushalte gleichzeitig eine kostenlose Rücknahme angeboten werden, worauf sogar ausdrücklich hingewiesen werden muss, und die Kund*innen müssen beim Kauf gefragt werden, ob sie Altgeräte zurückgeben möchten. Die IHK ergänzt: Dies gilt bei drei der sechs Gerätekategorien (d. h. den eher größeren, sperrigen) auch für Internethändler.
Bei der nächsten Bestellung könnte es also gleich heißen: »Hallo, Amazon, ich hab hier noch einen alten Kühlschrank stehen, nehmt den bitte gleich mit.«
Auch die Palette der Produkte, die in die Definition von WEEE oder E-Waste fallen, wurde erweitert. Vor allem Kleinteile, wie zum Beispiel elektrische Möbelteile oder Kleidung mit Elektro-Accessoires wie blinkende Sportschuhe, und eine ganze Reihe weiterer, die früher als nicht betroffen eingestuft wurden, müssen jetzt auch zurückgenommen und recyclet werden.
Aber: Wie heise online schon vor Inkrafttreten des Gesetzes bemängelt hatte, wurde eine wesentliche Forderung des Bundesrats nicht umgesetzt, nämlich die aus Sicht der Kreislaufwirtschaft völlige Fehlentwicklung von fest verbauten Akkus in immer mehr Produkten
(Smartphones, Laptops etc.) dringend per Gesetz zu beenden, was auch eine Forderung der EU-Kommission ist. Trotz der vielen Fürsprecher hat dieser Passus nicht den Weg ins Gesetz gefunden. Und auch ein Vorschlag von Grünen und Linken, ein Pfandsystem für Mobilgeräte einzuführen, fiel durch.
Alles in allem ist man versucht, das leider immer noch viel zu oft gültige Fazit »too little, too late« zu ziehen. Bleibt abzuwarten, wie das neue, EU-weite Lieferkettengesetz ausfallen wird, in dem auch weiterreichende Umweltschutz-Auflagen festgelegt werden sollen. Der deutsche Alleingang, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (noch so ein »lol«), das am 1.1.2023 in Kraft treten soll, hat vorab von BUND und Deutscher Umwelthilfe erarbeitete Vorschläge nicht übernommen. Was auch eine Analyse der Initiative Lieferkettengesetz (PDF) kritisiert: Das Gesetz berücksichtigt Umweltaspekte nur marginal, eine eigenständige und umfangreiche umweltbezogene Sorgfaltspflicht fehlt (…) Zwar erfasst das Gesetz bisher die Schutzgüter Boden, Wasser und Luft im Rahmen der menschenrechtlichen Risiken, massive Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust werden hingegen nicht erfasst, auch das Klima findet keine Berücksichtigung als Schutzgut.
Too little also. Hoffentlich nicht auch too late.